24.06.2007

Core 001: Schnittpunkte

Es war erstaunlich, fand der Fernfahrer, mit welcher Gemächlichkeit die Menschen unterwegs waren. Es ärgerte ihn nicht, nein, er versetzte ihn nur in Erstaunen. Auf der hier (zumindest im Moment, setzte er im Geiste hinzu,) sechsspurigen Strecke stand das Blech dicht an dicht und rollte in der Geschwindigkeit von irgendwo weiter vorne keuchenden Uralt-Dampfwagen voran. Doch niemand hupte; das irritierte ihn immer wieder. Wenn er in die Wagen auf den anderen Spuren herübersah, dann sah er nur fahle, geduckte Köpfe, die ohne jede Regung über das Lenkrad hinweg starrten. Niemand brüllte; niemand schimpfte. Die Leute fuhren einfach im Schneckentempo einer dunkelgrauen Rauchfahne nach. Er schüttelte den Kopf langsam, zwei-, dreimal, schob sich dabei eine zerknickte Zigarette zwischen die spröden Lippen. Überhaupt waren diese Leute erstaunlich. Manchmal hatte er den Eindruck, sie verstünden gar nicht, was hier passierte. Oder, das es ihnen gar nicht auffiele.
So war es zum Beispiel mit den rostigen Dampfmaschinen, die weiter vorne vor sich hin stanken. Niemand schien sich zu fragen, was solche Vehikel auf einer verdammten Schnellstrecke zu suchen hatten. Und diese Dampfmaschinen waren nicht die einzigen merkwürdigen Fahrzeuge hier, im Gegenteil. Uralte Modelle fuhren hier neben den neuesten Sportwagen, und gerade eben erst hatte er einen alten Planwagen überholt; manche Gefährte erkannte er nicht, sie waren kantiger geschnitten und wirkten bulliger als sein alter Laster. Die Fenster waren immer verspiegelt, und so konnte man den Fahrer nicht sehen.
Selbstredend kannte er diese seltsamen Dinge schon; er war nicht umsonst seit ewigen Zeiten Fernfahrer. Trotzdem verunsicherte ihn die Tatsache, dass scheinbar nur er das merkwürdig fand. Das gleiche galt für die Strecke selbst. Den Leuten konnte doch gar nicht entgehen, dass sie ab und zu ihren Verlauf änderte. Einmal etwa war er dreimal an der selben Stelle vorbeigekommen, als sei er im Kreis gefahren. Er wusste selbst nicht, warum er das bemerkt hatte. Eigentlich sah jeder Punkt entlang der Transitstrecke ungefähr gleich aus; auf einer Seite war die weit entfernte Front der Hochhäuser zu sehen, auf der anderen die kleineren Viertel, teilweise heruntergekommen, gegen den Horizont immer schmaller werdend. Aus einem dieser Viertel stammte er, dachte er meist, aber er war schon lang - wie lang? - nicht mehr dort gewesen. Auch die Hochhäuser hatte er nie aus der Nähe gesehen, aber die waren auch unwahrscheinlich weit entfernt. Aus dieser Entfernung ließ sich das nicht genau beurteilen, aber es hieß, aus der Nähe betrachtet würden sie eine nahtlose Mauer bilden, aber von hier aus sahen sie wie eine süße Verlockung aus, und das Licht spiegelte sich in ihren kleinen Fenstern.
Aber das war ihm auch gleich; er fuhr seine Lieferung, die Lieferung. Und wunderte sich über diese seltsamen Menschen, die das alles nicht zu bemerken schienen. Es geschah oft, dass die Strecke einen kleinen Knick machte, inzwischen fiel ihm das sofort auf. Schwierig wurde es nur noch, wenn sie sich plötzlich entschied, ihren Endpunkt zu verlagern oder eine Ausfahrt plötzlich verschwand und woanders wieder auftauchte. Dann musste er sich auf seine Instinkte verlassen; manchmal ließ er sogar das Steuer los und den Wagen selbst entscheiden, welche Route er nehmen wollte. Als sein Radio noch funktionierte, hatte der Sprecher einmal gesagt, das alles läge am Wetter; das war schon lange her, denn sein Radio war schon seit Jahrzehnten kaputt. Das heißt, es empfing durchaus noch etwas, aber es war ein großes Durcheinander. Wenn man es einschaltete, so hörte man viele Sender auf einmal, und das vertrugen seine Nerven nicht. Also hatte er das Radio irgendwann einmal ausgestellt.

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Notiz 002: Das Fest im Zentrum

Die Maske des Roten Todes

Hier ist die Inspirationsquelle für meine Version des Zentrums, frei nach dem Sinne, dass am Gipfel der Dekadenz, der Fall eine unausweichliche Gegebenheit ist. Nur schwebt im Zentrum der Sekundenzeiger in der Stasis, nur einen Moment bevor die alte Uhr des Königs Dreizehn schlägt.

Auch hier ist Prospero, ein Synonym für den Fahlen König, welcher wieder ein Symbol ist für Dekadenz und Egoismus.

Bleibt die Frage... Wer sind die Gäste?

EDIT:
Prospero

Ich kann mir mehrere Avatare des Prospero vorstellen.
1. Der Fahle König
2. Der Herr der Fliegen
3. Eine kleine Rote dömonische Fruchtfliege
4. Der Mann im Mond (wahnsinnig)

Notiz 001: Das Strichmännlein und Konsorten

Wir hatten besprochen, dass wenn Figuren immer mehr an Komplexität verlieren sie irgend wann zweidimensional werden. Dann können wir also im wahrsten Sinne des Wortes von flachen Charakteren reden.

Doch diese Bilden in der Stadt eine Gefahr, denn wo sie endgültig zerfallen, dort bilden sich Fützen von Entropie, die das Gefüge zerreißen.

Einzelne Wanderer, in hellen Lumpen gekleidet, ziehen ihre Karren auf denen sie in Flachen Kästen Hunderte dieser Verblassten Kreaturen mit sich in die Inneren Regionen der Stadt bringen. Wieso das so geschieht oder wer diese Lumpengestalten sind ist unbekannt. Auch ist nicht ganz klar ob es wirklich mehrere Sind oder doch nur eine einzige Entität, denn es wurden nie mehrere von ihnen zur gleichen Zeit gesehen. Doch die Zeit war eines der ersten Dinge die aus den Fugen geraten waren als das Fest im Zentrum begann.

Definition I: Die Stadt

Am Anfang ist vieles schwer.

Ich weiß nicht wer das gesagt hat, aber es gibt diese Momente, wo ich glaube, dass es besser gewesen wäre, wenn diese Person dies nicht gesagt hätte. Ein Hindernis, und das gilt sowohl für die Wahren als auch für die Einbebildeten, wird erst dann unüberwindlich, wenn man solches dazu erklärt. So verhält es sich auch mit der Aufgabe, eine Stadt zu beschreiben, die es de facto nicht gibt und auch nie geben wird, aus dem Grunde, da sie ALLE Städte ist und keine davon. Die Idee von einer Stadt, der Ursprung aller Städte.

Ein Paradoxum wird umgangen, da ich sie durch ihre Rolle definiert als Anthropomorphe Stadt tituliere. Dabei wird die Stadt keineswegs menschlicher in irgend einer ihrer Naturelle, sondern erhält vielmehr die Rolle eines toten, verrotteten Leibes, der eins Vorbild war für alles aus dem wir Kultur und Zivilisation formen sollten.

Doch nun zum eigentlichen Thema; der Beschreibung.

Und diese erscheint nun lächerlich banal. Betrachte man den Querschnitt der Stadt, wäre dies auch nur im entferntesten Möglich, so kann man zwei sich entgegen gesetzte Pole erkennen. Der eine ist das Zentrum, Traum von vergessenen Utopien, welches im dekadenten Wahnsinn einen Punkt unendlicher Komplexität erreichte und somit jegliche Dynamik, eine Grundvoraussetzung für das Leben an sich, verlor und in einem Zustand dämmrigen Todes verfiel, der Stasis. Dieser Punkt ist die Innerwelt, von unzähligen Mauern umschlossen, von jenen erbaut die nur weitere Mauern vor sich sahen und immer weitere folgen lassen sollten, und so der Außerwelt verwehrt. Dort in Ava Dyscordiancis dem Schloss es Fahlen Königs, herrscht auf dessen leeren Thron, die Stasis, das gefrorene Sein aller Dinge. Außerhalb der unendlich gen Himmel strebenden Türme, die sich gegenseitig einschließen, befindet sich eine leere weiße Wüste, die Emblanque. Nur mit der einen Bahn, dem Silbernen Falken, kann man die Emblanque überqueren ohne mit ihr eins zu werden und zu weißem Staub zu zerfallen. Es wird auch gesagt, dass die Wüste einst leer war und sich mit der Zeit erst durch die verlorenen Seelen zu einer Staubwüste wurde. Nie fährt der Falke zurück, sondern beginnt zyklisch immer wieder ihre Fahrt vom inneren Rand der Stadt aus.

Die Stadt selber, wenn man von den Gestaden an der weißen Wüste und dem Rand der Endwelt nicht dazuzählt, verhält sich wie ein verworrener Traum aus allen Städten die es je gab. Auch hier gibt es Regionen und Orte, die man wieder finden kann, selbst nach langer Zeit, doch sind die Gebiete dazwischen instabil und verändern sich fortlauffent. Manchmal verändert ein Haus seine Bewohner, manchmal andersherum. Realität, Traum, Kollektiver Glaube, all das zusammen ergibt die Summe der Stadt. Der Einzigen Stadt.

Am Ende, noch fast unendlich von dem Zentrum entfernt, liegt der Rand der Stadt, die Endwelt, die Entropie. Alles zerfällt dort in Einfachheit, bis es in ein ewig monotones Weiß vergeht. So bilden die Endwelt und das Zentrum zwei Enden einer Achse, nur mit dem Unterschied, dass das Zentrum in allen Ebenen immer das gleiche ist und die Endwelt immer am Rande liegt bildet die Stadt eine amorph schrumpfende Kugel durch alle Realitäten.

Die zeit ist weich geworden und nur noch wenige Dinge haben den gleichen Bestand wie sie es einst vielleicht einmal hatten.